Completely Nuts

Sylvia Englert

Ich hasse es, wenn Geschichten mit einem Wetterbericht anfangen. It was a dark and stormy night. Oder: Es war ein schwüler Sommertag. Käse. Wen interessiert es, ob man sich an diesem Abend fühlte, als sei man in einer Autowaschanlage eingesperrt, oder ob einem die Sonne auf den Schädel knallte? Um so peinlicher ist es, daß es bei mir tatsächlich das Wetter war, mit dem alles anfing. Es war nur ein kleines Stück Wetter, wenn ich das zu meiner Entschuldigung anführen darf. Gerade war über meinen Dachfenstern ein Gewitter heruntergerauscht, und ich lag vom Hüttenkoller halb betäubt auf dem Bett und versuchte, mich über die Tatsache hinwegzutrösten, daß an diesem Abend nur Mist im Fernsehen kam. Da blickte ich nach oben und bemerkte ihn. Den schönsten verdammten Regenbogen, den ich seit meiner Rückkehr aus den Staaten gesehen hatte. Ein Doppelter. Ein Dreifacher (Nein, das war jetzt gelogen). Mit Farben, die so satt wirkten, als könnten sie jeden Moment heruntertropfen. Ich fuhr hoch, riß das Fenster auf, der Unterkiefer sackte mir sonstwohin vor Entzücken. Natürlich war der Hintergrund noch verbesserungsfähig. Durcheinandergeschachtelte graubraune Hausdächer mit stachligen Fernsehantennen, Wohngegend halt, in der Ferne klein wie Revolverpatronen die silbernen Türme der City.
Das ist ein Omen, fuhr es mir durch den Kopf. Das muß ein Omen sein!
Ich beschloß, das Zeichen nicht zu mißachten. An diesem Tag würde noch etwas Wunderbares geschehen, ich wußte es einfach. Schicksal. Abgesehen davon war es wirklich an der Zeit, daß ich aus meiner Scheißdachkammer herauskam.
Ich ersetzte meine Joggingklamotten durch mein Lieblingsoutfit, eine dunkelblaue Bluse mit blau-weiß-rotem Halstuch, schwarze Jeans und Collegeschuhe. Dann betrachtete ich mich im Spiegel und wünschte, ich hätte mir den Anblick erspart. Man kann sich noch so anstrengen, hundert Kilo versteckt man nicht so leicht unter dem Stoff, und hier in Deutschland fällt das richtig auf, weil es nicht viele richtig Dicke zu geben scheint. Vielleicht gibt´s sie ja und sie trauen sich nicht aus dem Haus. Ich bin immer noch nicht drüber hinweggekommen, daß sie in dem komischen Land hier einen Karamelriegel Nuts – Bekloppt – nennen. Das nenne ich eine feindliche Einstellung zu Kalorien.
Ich merke schon, ich schweife ab. Entschuldigen Sie. Nachdem ich den Regenbogen gesehen hatte, ging ich also in diese ziemlich rustikale Weinstube um die Ecke, in die ich mich noch nie reingetraut hatte. Es ist ziemlich bescheuert, sich allein in sowas reinzuhocken, während sich in jeder Ecke Pärchen fasziniert in die Augen sehen. Doch diesmal brauchte ich nur hochzuschauen und hatte diesen Regenbogen vor mir und wußte, tu´s, Carrie, heute ist dein Glückstag. Und wie sollte mein Traumtyp – einer der aussieht wie Tom Cruise und den füllige Frauen antörnen – anders von mir erfahren als dadurch, daß ich mich in die Öffentlichkeit wagte?
Eine Bedienung schlurfte heran. An ihrem Blick wußte ich, daß sie nachher mit ihren Stammgästen an der Theke über mich ablästern würde, und ich hätte sie gerne vorsorglich erschossen. Aber das ging an einem solchen Tag ja nicht, und außerdem hatte mein Ex-Mann die Smith & Wesson behalten.
„Eine Cola light“, sagte ich höflich.
„Ham wer hier nich. Iss ne Weinstube.“
„Ach“, sagte ich. Da hatte ich mich nach meiner Rückkehr mühsam damit abfinden müssen, daß sie in diesem komischen Land, meiner ehemaligen Heimat, kein Dr. Pepper´s haben, und dann kommt die Tussi mir mit sowas. „Dann nehme ich halt einen Wein. Aber keiner von denen, die man auch als Insektenvernichtungsmittel benutzen kann.“
Mit entgeistertem Blick zog sie sich hinter ihre Theke zurück.
Jetzt erst kam ich dazu, mich genauer in dieser Weinstube umzusehen. Braune Eichenmöbel, rotweißkarierte Tischtücher, Weinlaub aus Plastik. Verknallte Pärchen waren nicht in Sicht, dafür hockten an der Theke ein paar alte Knacker, die stumm in ihr Glas starrten oder sich, wie ich mithörte, über Soccer unterhielten, was die hier Fußball nennen. Sonst war´s ziemlich leer. Ich muß zugeben, ich war ein bißchen enttäuscht. Vielleicht hatte das Zeichen irgendwas anderes zu bedeuten gehabt?
Dann klapperte die Tür, ein kühler Luftschwall zog mir um die Fußknöchel, und ich blickte auf. Herein kam so ein kompakt gebauter Muskelmann, wie man sie auf Baustellen im Dutzend billiger findet. Statt sich zu den Hähnchen auf der Stange zu gesellen, setzte er sich mit dem Rücken zum Ausschank und fletschte die Zähne, als er mich sah. Oder sollte das etwa ein gewinnendes Lächeln sein?
Die Tussi brachte meinen Wein, und es war doch einer von der Sorte, mit der man Blattläuse töten kann, maximal 3,5 Sekunden vom Einsprühen bis zum Exitus. Das hatte die bestimmt mit Absicht gemacht. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, mich zu beschweren, denn in diesem Moment schlenderte der Typ betont locker zu mir herüber. „So allei hier, schöne Frau? Darf isch misch setze?“
Ich muß zugeben, ich war ein bißchen enttäuscht. Sollte das etwa der Traumprinz sein, den mir der Regenbogen angekündigt hatte? Bestimmt hatte er verborgene Qualitäten, eine herausragende künstlerische Ader, einen IQ von 180 oder ein Konto in der Schweiz. Wer wußte. Also lächelte ich ihn an. „Hallo. Wer bist du denn, schöner Mann?“
Er guckte erst ein bißchen verdutzt, dann aber begann er zu grinsen. So ein richtig breites Grinsen, Sie wissen schon, Mundwinkel berühren Ohrläppchen und so weiter.
Wahrscheinlich dachte er, er hätte mich schon so gut wie im Bett.
„Man sieht´s mir aa, jo?“ sagte er.
„Äh, was denn?“
„Hoab ganz schwer an meinem Trizeps gearbeitet in letzter Zeit.“
„Klar“, sagte ich. „Klar sieht man das. Obwohl ich natürlich nicht weiß, wie du früher ausgesehen hast. Es wäre leichter mit so einem Vorher/Nachher-Vergleich, weißt du was ich meine? Diese Dinger, die sie immer in Zeitschriften abdrucken, wenn sie dir irgendein Diätmittelchen andrehen wollen. Allerdings glaube ich sowieso nicht an so einen Scheiß, an Diätmittelchen meine ich. Wirkt alles nicht.“
Ich merkte, daß ich anfing zu labern, und hörte damit auf. Aber es schien ihn nicht abgeschreckt zu haben, im Gegenteil. Er grinste noch breiter. Wenn das so weiterging, würde er sich irgendwas ausrenken.
„Witzigen Akzent haste“, sagte er.
„Du auch“, sagte ich, und er guckte ein bißchen beleidigt.
„Was meinst´n dodemit? Isch red doch ganz normaal. Wo kimmst´n her? Amiland?“
„Ganz genau“, sagte ich. „Idaho.“
„Äh, was?“
„Mittlerer Westen. The Potato State.“
„Ach sooo.“ Er klang richtig erleichtert. „Da im Westen, bei Kalifornien, was? Wieso sachste des net gleich? Stak, ey. Haste schon ´n paar Stars rumlaafe sehe? Isch würd gern ma den Schwarzenegger treffe, Mann, des is ´n Kerl. So´n richtischer Klassetyp.“
Ich hatte die dumpfe Ahnung, daß das mit dem IQ wahrscheinlich nicht hinhaute. Aber ganz aus dem Rennen war er noch nicht. Ohne viel Hoffnung sagte ich: „Sag mal, du malst doch, oder?“
„Klar. Woher weißt´n das? Sach ma? Hab ich noch irgendwo Farbe anne Finger?“
Mir war ganz humble zumute, wie sagt man das im Deutschen? Demütig. Ein Omen zweifelt man nicht an. Seine Allgemeinbildung war vielleicht ein bißchen lückenhaft, aber was machte das. Ein Künstler braucht sowas nicht. Er war halt ein tumbes Genie.
„Toll“, sagte ich und lächelte ihn an. „Finde ich toll. Abstrakt oder gegenständlich?“
„Mehr so Gegenstände. Häuser vor allem, sogar ma ´ne Brücke ham wer angemalt. Die Kohle stimmt aach, des Geschäft wächst wie der Deibel. Vor ´ner Woche hab isch mer ´n neuen Kleinlaster oa´gschafft.“
Ich seufzte und nippte an meinem Wein. Was hatte ich falsch gemacht? Hätte ich vielleicht in die andere Richtung gehen sollen? Die Straße runter gabs noch eine Pizzeria, aber nur so eine wo man sich noch nichtmal hinsetzen kann und die Leute rumstehen und schweigend ihr Essen runterschlingen. Außerdem wußte ich nicht, ob ich die Kraft aufbringen würde. Dort nur einen Salat zu bestellen, meine ich.
Während ich nachdachte, plätscherte eine Art von Hintergrundgeräusch durch meinen Gehörgang. Nach einer Weile stellte ich fest, daß der Typ mir gerade mit kindlicher Begeisterung irgendwas von seinem neuen Kleinlaster erzählte. Was hatte der bloß? In Idaho hat jeder einen Pick-up truck vor der Tür stehen, ohne daß sich irgend jemand sonderlich deswegen erregt.
„Ich steh mehr auf Sedan, weißt du“, sagte ich schließlich, damit er aufhörte. „So eine Karre wie die, die sie in Pulp Fiction fahren und die sie dann saubermachen müssen, nachdem sie sie mit dem Kopfschuß eingesaut haben.“
Das brachte ihn schlagartig zum Schweigen. Die Stille war mir beinahe schon unheimlich. Hatte ich jetzt was Falsches gesagt? Hatte ich gegen irgendein kulturelles Tabu verstoßen? Es ist doch immer wieder erstaunlich, wo die Fettnäpfchen überall lauern. Vielleicht darf man in diesem komischen Land nur auf Mercedes oder BMW stehen, sonst gilt man als Landesverräter. Oder es gilt als unfein, in der Öffentlichkeit über Dinge wie einen Kopfschuß zu reden, obwohl im Bahnhofsviertel jeden Freitagabend einer kaltgemacht wird. Möglich ist alles.
„Du magst Pulp Fiction?“ fragte er, und seine Stimme klang irgendwie andächtig.
„Na klar“, sagte ich. „Das ist doch einer der coolsten Filme, die je gedreht wurden.“
Er guckte ganz glücklich. „Gell? Ich hab den auf Video. Jeden Monat schau isch mer den aa. Zwanzigmal hab ich mir den bestimmt schon reingezooche.“
„Zwanzigmal! Ich meine, ich finde das Ding auch gut, aber bei zwanzigmal… wird man da nicht komatös?“
„Nee, ich find den immer noch komisch, der ist doch einfach unheimlich witzisch. Wie der eine Killer immer die Bibel zitiert und der andere immer von seinem Royal mit Käse daherbabbelt….“
„… und wie John Travolta endlich mal wieder tanzen darf….“, schob ich nach.
„… und sie der Tussi da die Spritze mitten ins Herz knallen, voll cool ey…“
„… und wie Harvey Keitel als Cleaner die beiden Typen zur Schnecke macht…“
„… und dann des bescheuerte Paar da in den Café, das se überfalle wolle!“
Irgendwie wurde er mir allmählich so richtig sympathisch. Er mochte ein bißchen fixiert sein, aber dafür war er anscheinend ein echter Cineast. Ich gehe selbst unheimlich gerne ins Kino. Mein eigentlicher Lieblingsfilm ist Harry und Sally, und diese anderen Meg-Ryan-Schnulzen finde ich auch Spitze, aber ich ahnte, daß das nicht der Moment war, das zu erwähnen. Die zarten Bande der ersten Gemeinsamkeiten sind so schnell zerstört.
„Haste Jurassic Park gesehen?“ fragte er jetzt. „Wie fandst´n den?“
Bevor ich begeistert bejahen konnte, öffnete sich die Tür knarrend und zwei junge Typen mit kurzgeschorenen Haaren und Reebok-T-Shirts kamen herein. Als sie meinen Muskelmann sahen, begannen sie zu johlen: „He, Wolfgang, grüß disch, lang net mehr gesehen.“ – „Na, Wolfi, biste wieder auf Jagd, was?“ – „Dir stehts wohl schon bis zur Halskrause, was, Alter? Oder geht´s wieder um die Prämie?“
Trizeps stand auf, ganz langsam, und kniff die Augen zusammen. „Was iss?“ knurrte er und ruckte dabei mit dem Kopf nach oben. „Was iss, Freund? Willste Ärger, hä?“
Die beiden Typen grinsten. Sie schienen nicht sonderlich beeindruckt davon, daß Trizeps sie in der nächsten Sekunde mit einem Schlag dieser riesigen Fäuste zu einer Dicke von durchschnittlich fünf Zentimeter reduzieren konnte. „Nee, wir fanden es nur toll, wie gut du dich unterhältst, Wolfi. Laß dich nicht stören.“
„Verpißt euch!“ spuckte er aus, warf ihnen noch einen düsteren Blick zu und setzte sich wieder zu mir.
In diesem Moment liebte ich ihn. Er war ein Mann, der sich nicht unterkriegen ließ, ein Mann, der sich nichts bieten ließ. Ein Mann, der sich nicht von seinem Rudel von Kumpels vorschreiben ließ, welche Frau er gut zu finden hatte.
Trizeps lehnte sich über den Tisch und setzte so eine vertrauliche Miene auf. Ich wußte, jetzt wollte er mir irgendetwas sagen, und beugte mich gespannt auch vor, so daß unsere Nasenspitzen sich einander annäherten. Er hatte einen von diesen kleinen, borstigen Schnurrbärten, die beim Küssen gräßlich kratzen, aber ich war bereit, ihm das zu verzeihen. Wenn wir ein paar Monate zusammen waren, konnte ich ihn ja vielleicht überreden, das Ding abzurasieren.
„Was ich eigentlich schon vorhin sagen wollte – Ich hab ´nen Spitzentip für dich“, flüsterte er und schob mir eine Art von Visitenkarte hin, so eine mit einem bunten Logo drauf. „Kennste des Fitness-Studio in der Mainzer Landstraße? Kost nur ´n Hunni pro Monat. Du würdest echt gut aussehen, wenn du´n paar Kilo abnehmen würdest, und da wirste ruckzuck topfit gemacht.“
Die nächsten Sekunden vergingen in Zeitlupe. Ich konnte ihn einfach nur anstarren und spürte, wie ich langsam die Farbe wechselte, von blaßrot bis zu irgendwo im Bereich Kirsch. Da saß ich nun und spürte jedes einzelne meiner Kilos. Was sollte ich jetzt machen – ihm den Wein ins Gesicht kippen, so wie Jessica Lange Dustin Hoffmann in Tootsie? Oder war hier doch etwas Drastischeres angebracht? Bevor ich mich zwischen das mit dem Wein und einem Kopfschuß à la Pulp Fiction entscheiden konnte, machte er Miene aufzustehen. Er schielt schon so zu seinen Kumpels rüber. Jetzt mußte ich irgendwas sagen, und zwar schnell. So leicht kam er mir nicht vom Haken. „Wird man da so wie du – mit den Muskeln, meine ich?“
Wolfi grinste geschmeichelt. „Na ja, da muß man schon lange dran arbeide. Isch hab schon ah paar Jahr gebraucht.“
„Das merkt man. Zumindest, wenn es stimmt, daß die zerebralen Fähigkeiten durch den Muskelaufbau etwas beeinträchtigt sind, oder? Du weißt doch, was zerebrale Fähigkeiten sind?“
Trizeps war anscheinend ein bißchen unwohl zumute, zumindest zupfte er dauernd an seinem Goldkettchen herum. „Ja, ja, klar weiß isch des. Logisch.“
„Und stimmt, es oder nicht?“
„Klar stimmt´s. Werst sehen, des wird dir total gut tun und nette Leute triffste da auch.“
„So nett wie du ungefähr?“ sagte ich. „Toll. Vielleicht sollte ich mir vorher eine Lobotomie machen lassen, damit ich besser zu euch passe. Kannst du mir das empfehlen? Das soll der neuste Trend in Bodybuildingstudios sein, die Lobotomie. Das wird doch bestimmt auch bei euch in der Mainzer Landstraße angeboten, oder?“
„Äh, ja, bestimmt, da muß isch mal einen der Trainer fraache, aber das kannste bestimmt auch bei uns machen“, versicherte er mir eilig. „Vielleicht kostet es aber was extra, kann ich noch nich sagen.“
Ich lehnte mich zurück und lachte, bis ich mir beinahe die Stimmbänder zerrte, während mich Wolfi verdutzt anglotzte. Sie können sich ja denken, daß es mir nun ein bißchen besser ging. Als ich der Tussi an der Theke den Wein bezahlte, sagte ich so laut, daß seine Kumpels es hörten: „Mach´s gut, Wolfi. Nimm´s nicht so schwer. Aber du bist einfach nicht mein Typ“, und segelte raus. Und wenn ich dabei wie ein Flugzeugträger aussah statt wie eine Yacht – das war mir in de

Dieser Beitrag wurde unter Kurzgeschichten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert