Dreamscape

Sylvia Englert

An dem Tag, an dem die Dreamscape-Maschine geliefert wurde, dachte ich wirklich, sie sei meine Rettung. Seit ich meinen Job verloren habe – rausgemobbt haben sie mich aus dem Büro, und ich habe es ihnen noch nichtmal besonders schwer gemacht -, schlafe ich schlecht. Ich bin todmüde, ich schließe meine Augen, atme so langsam es geht, aber mein Bewußtsein weigert sich herunterzufahren und mich endlich wegdämmern zu lassen. Schreien könnte ich vor Frust, aber ich drehe und wende mich nur, knäule die Decke um meine Beine, grabe mich ins Kopfkissen.
Ich wage kaum noch, Mark zu fragen, wie er geschlafen hat. Dann macht er meist so ein verkniffenes Gesicht, murmelt „Beschissen“ und sieht mich nicht an dabei, weil es ja ganz offensichtlich meine Schuld ist. Er beginnt Ausreden zu erfinden, warum wir die Nacht nicht miteinander verbringen können. Wenn es dunkel wird, packt er seinen Rucksack, schaut mich schuldbewußt an, küßt mich und verschwindet in seine eigene Wohnung, in die er mich nur noch selten einlädt.
„Nimm doch in Gottes Namen deine Schlaftabletten“, meint Mark genervt.
„Die machen alles nur noch schlimmer, bei mir wirken sie schon nicht mehr.“
„Dann kauf dir doch eine Dreamscape!“
Hast du sie noch alle? will ich fragen. Aber da klappt die Tür schon hinter ihm zu und er ist auf dem Weg zur S-Bahn. Also frage ich es mich selbst: Hat der Mann sie nicht mehr alle? Er weiß, daß ich arbeitslos bin. Er weiß, daß eine Dreamscape-Maschine fünftausend Euro aufwärts kostet und sie vor allem die Reichen, Berühmten oder Arbeitssüchtigen mit dicken Bankkontos in erholsamen Schlaf wiegt. Und das auf Knopfdruck und genauso lange wie eingestellt und ohne die geringsten Nebenwirkungen. Bei Yuppies, so habe ich es zumindest gehört, ist so ein Ding in der Bettkonsole neben den üblichen Nervenstimulatoren ein absolutes Muß.
Es wird und wird nicht besser mit mir. Ich halte tagsüber ab und zu ein Nickerchen, aber ich schaffe es nicht, länger als eine halbe Stunde am Stück wegzupennen, und danach fühle ich mich meistens, als hätte man es mir mit einem Holzscheit über den Kopf gegeben. Mark hat sich schon seit einer Woche nicht mehr blicken lassen. Wahrscheinlich ziehe ich ihn runter oder sowas, aber er hat nicht den Mumm, es mir ins Gesicht zu sagen. Ich weine oft ohne Grund. So sieht es mir mit aus, als ich eines nachts die Firma Dreamscape anrufe. Einfach so, aus purer Verzweiflung. Es ist kurz nach Mitternacht, aber es ist sofort jemand am Apparat.
„Dreamscape GmbH, wie kann ich Ihnen helfen?“ sagt eine angenehme, volltönende Männerstimme.
„Ist ja toll, daß bei Ihnen jetzt noch jemand am Telefon ist.“
„Aber sicher doch. Um diese Zeit bekommen wir einen Großteil unserer Bestellungen herein.“
Ich wünschte, ich könnte auch so eine Maschine ordern, einfach so, buchen Sie´s vom Konto ab, bitte. Schlafen, jetzt einfach Schlafen, müheloses Wegsinken… ich sehne mich danach wie nach einem eiskalten Bier in der Wüste. „Eigentlich wollte ich mich nur nach dem Preis erkundigen… ?“
„Die neue Version 2.0 mit verbesserter Tiefschlafautomatik, auf Wunsch mit Schnarchunterdrücker und Traumsteuerung, kommt auf 8.000 Euro. Ohne Mehrwertsteuer.“
Er muß mein Aufstöhnen gehört haben, denn als ich schon auflegen will, sagt er: „Halt!“
„Ja?“
„Wissen Sie, es gibt da eine Möglichkeit. Wir nennen sie Sponsoring. Sie hätten die Chance, eine Dreamscape eines etwas älteren Modells kostenfrei zu bekommen, wenn Sie zustimmen, einen kleinen Teil Ihrer Träume von unseren Sponsoring-Partnern bestimmen zu lassen.“
„Kostenfrei?“ Ich kann es kaum glauben. „Wollen denn diese Sponsoring-Partner dafür irgendwas von mir?“
„Sie werben ab und zu Ihr Produkt, aber das wird Sie ja nicht besonders stören, schließlich sind wir von Werbung umgeben, die Fernsehkanäle, die Zeitschriften… was macht das schon.“
„Worauf warten Sie noch, schicken Sie mir das Ding!“
Am nächsten Tag steht ein Bote bei mir vor der Tür, ein in drei Lagen silbernen, Schaumstoff eingewickeltes Päckchen in der Hand. „Hier unterschreiben bitte“, sagt er. „Das ist Ihr Garantieschen und gleichzeitig Ihre Einverständniserklärung.“
Ich unterschreibe und reiße ihm die Dreamscape aus der Hand. Das eigentliche Gerät ist ein bißchen enttäuschend: Es ist in ein Gehäuse aus schwarzem Kunststoff eingebettet, hat ein Display und ein paar Tasten. Nach ein bißchen Fummelei habe ich es an meinem Bett aufgebaut. Am liebsten hätte ich es gleich ausprobiert, aber vorher rufe ich Mark an.
„Rat mal, was ich mir gerade angeschafft habe“, rufe ich in den Hörer. „Eine Dreamscape! War ein Sonderangebot. Hat mich keinen Cent gekostet.“
Eine Weile ist Schweigen in der Leitung. „Du verarschst mich, oder?“
„Nein, nein, das Ding steht vor mir, ich werde es gleich heute nacht ausprobieren. Magst du rüberkommen?“
„Hab keine Zeit heute. Morgen, okay?“
Als ich auflege, denke ich: Warum eigentlich noch warten? Ich brauche Schlaf, oh ja, verdammt dringend brauche ich den, und zwar JETZT, auch wenn es drei Uhr nachmittags ist. Ich lese die Bedienungsanleitung und gehe das Installationsprogramm durch, damit sich die Dreamscape auf meine persönlichen Gehirnwellenmuster einstellen kann. Dann lege ich mich ins Bett, schalte das Ding auf sechzehn Stunden Schlafdauer und schließe aufseufzend die Augen.
Hand in Hand schlendern Mark und ich einen Palmenstrand hinunter. Ab und zu küssen wir uns, und es ist wie in den ersten Monaten unserer Zeit zusammen, kaum daß wir uns an unseren Lippen festsaugen, bekommen wir Lust aufeinander. Schließlich kriechen wir in einen Palmenhain und lassen die Hände unter unsere Kleider wandern. Doch dann hält Mark plötzlich inne. „Du… äh… ich…“
„Was ist?“
„Lust habe ich, aber irgendwie bekomme ich keinen hoch. Tut mir echt leid.“
Ich nicke nur und nehme ihn in den Arm. Das passiert ihm eben ab und zu, schade nur, daß es gerade jetzt sein muß.
In diesem Moment kommt ein grauhaariger, seriös aussehender Mann im weißen Arztkittel hinter einer Palme hervor, blickt auf uns herunter und hält lächelnd einen Gegenstand hoch. „Sehen Sie, junger Mann, mit dem Nervenstimulator Viagratron Plus wäre Ihnen das nicht passiert. Behebt schnell und zuverlässig nicht nur alle Erektionsprobleme, sondern macht auch Ihre Partnerin so wild wie nie! Das Basismodell gibt´s schon für 199 Euro in Ihrer Apotheke!“
„Danke für den Tip!“ sagt Mark und lächelt freundlich zurück.
Dann sind wir wieder zurück in München, im Englischen Garten. Doch der ist irgendwie seltsam. Die Leute glotzten uns an und murmeln etwas miteinander, wenn wir vorbeigehen. Ich blicke an mir hinunter und schäme mich mal wieder, daß ich keinen besseren Geschmack habe, was Kleidung angeht. Im Büro haben sie immer haben sie mich über gelästert, haben gesagt, daß ich ein Bauerntrampel bin…
Wie auf Kommando springt eine Gruppe Studenten auf, an denen wir gerade vorbeigehen, und beginnt eine Art kleines Musical aufzuführen. „Wenn du Klamotten von Dennes & Plauritz hättest, schicke Klamotten von Dennes & Plauritz, dann würdest du viel besser aussehen“, singen sie. „Dann wärst du cool, ja, dann wärst du wirklich cool!“
„Und mit Umbriel gewaschen wären sie außerdem noch porentief rein!“ fällt eine sympathisch wirkende ältere Frau in den Chor ein und hält ein weißes flatterndes Laken und ein Paket Waschmittel hoch. „Denn wer gepflegt aussieht, der wird nicht gefeuert, der wird gefeiert!“
Mark zieht mich in den Kreis der Studenten, wir tanzen mit ihnen. Ein paar große gestreifte Katzen… nein, es sind Tiger!… streichen uns dabei um die Beine und bieten uns grinsend an, uns hinzutragen, wohin wir möchten, grenzenlos mobil zu sein. Jeder von ihnen hat ein großes Logo der Tankstellenkette ECCO auf dem Fell. Mark drängt mich, aufzusteigen, aber ich möchte lieber nicht. Doch die Tiger lassen sich nicht so leicht abschütteln, sie verfolgen uns noch eine Weile und grummeln dabei etwas von dem Vorteil von Markenbenzin für einen gesunden Motor.
Ich bekomme langsam Angst. „Mark“, sage ich. „Lass uns weggehen von hier.“
Doch Marks Gesicht verändert sich, wird ganz streng. „Das ist nicht erlaubt. Geschäft ist Geschäft.“
Irgendwie weiß ich, daß ich träume, und ich will raus aus diesem Traum, aber ganz zur Abwechslung schaffe ich es einfach nicht aufzuwachen. Als ich nach sechzehn Stunden die Augen aufschlage, fühle ich mich zwar endlich einmal nicht mehr müde, und das ist ein wunderbares Gefühl, aber wenn ich an meine Träume zurückdenke, dann wird mir im nachhinein ganz schlecht. Gut, daß Mark heute nicht bei mir übernachtet und das alles mitgeträumt hat. Zum Glück verblaßt der Traum schnell, die Details sind schon weg.
Ich wähle die Nummer der Firma Dreamscape. Aber es ist noch zu früh, es ist nur ein automatisches Tonband dran. Um acht Uhr abends probierte ich es nochmal, und diesmal meldet sich eine Frauenstimme. Das Gespräch verläuft genauso, wie ich es befürchtet habe.
„Entschuldigen Sie, aber es geht um das Dreamscape, das ich bekommen habe. Die Werbung in meinen Träumen ist wirklich unglaublich aufdringlich.“
„Ja, und? Dafür haben Sie ein Gerät, das normalerweise 8.000 Euro kostet, umsonst bekommen, war erwarten Sie denn?“
„Na ja, das stimmt schon, aber ist solche belästigende Werbung nicht irgendwie gegen das Gesetz?“
„Es ist mir absolut neu, daß die von Dreamscape ausgestrahlte Werbung belästigend sein soll, und zudem ließe sich das ja auch nicht beweisen, oder? Schließlich sind Träume Schäume, jeder erlebt sie anders, das hängt natürlich auch von Ihrer Psyche ab!“
Ziemlich sauer lege ich auf. Natürlich weiß ich, daß mit meiner Psyche im Moment nicht so alles voll und ganz in Ordnung ist, aber von so einer Kuh brauche ich das mir nicht sagen zu lassen.
In der zweiten Nacht ist Mark bei mir. Ich bin ein bißchen nervös, und als er das Dreamscape auch auf seine Gehirnwellen einstellen will, halte ich ihn zurück. „Warte… ist vielleicht besser, wenn ich es noch ein Weilchen teste. Es ist noch nicht so ganz, äh, eingeträumt.“
Mark schaut mich seltsam an und zuckt die Schultern. Vielleicht denkt er, daß ich meine neue Wundermaschine nicht mit ihm teilen will.
Der Traum ist wieder der gleiche wie in der letzten Nacht. Nur ist der Mann im Arztkittel diesmal ein bißchen strenger und runzelt die Stirn über das, was wir da so treiben oder es jedenfalls versuchen, die Studenten versuchen mir die häßlichen Kleider herunterzuziehen, als sie um uns herumtanzen, und die Tiger grinsen nicht mehr so freundlich, sondern blecken ab und zu die Zähne. Als ich dem einen versehentlich auf die Pfote trete, faucht er mich an, ich könne das nur wiedergutmachen, wenn ich sofort zu ECCO fahre.
Als ich auf die Minute pünktlich aufwache, bin ich bedrückt – ganz im Gegensatz zu Mark. „Glückwunsch, Schatz, du hast dich kein einziges Mal herumgewälzt! Scheint ja wirklich, als ob der Alptraum jetzt ein Ende hätte!“
Ich schaffe beinahe ein Lächeln. Aber nur beinahe.
In der nächsten Nacht versuche ich, ohne das Dreamscape auszukommen. Ich fahre in die Berge und wandere 15 Kilometer, bis meine Beine schwer und meine Fußsohlen aufgescheuert sind. Vor dem Schlafengehen trinke ich eine heiße Milch mit Honig, dann schmökere ich in einem Fachbuch über Steuerrecht, das ich mir eigens für solche Zwecke auf dem Flohmarkt gekauft habe. Es nützt nichts. Um zwei Uhr früh bin ich noch genauso wach wie vorher, und um vier Uhr erst recht. Am nächsten Tag schleppe ich mich durch die Wohnung und schaffe es kaum, den Abwasch zu machen, geschweige denn die Stellenanzeigen durchzugehen.
Die Wende kommt, als ich beim Einkaufen bin und ausnahmsweise nicht das übliche Billigwaschmittel nehme, sondern Umbriel. Ich greife zu wie im Reflex, ohne Nachzudenken. In der nächsten Dreamscape-Nacht klopft die Frau mit dem flatternden schneeweißen Bettuch mir anerkennend auf die Schulter und läßt mich in Ruhe.
Eine Woche lang habe ich mich noch gewehrt, dann habe ich aufgegeben. Ich wasche jetzt nur noch mit Umbriel und tanke bei ECCO. Längst liegt in meinem Nachttischchen ein Nervenstimulator, obwohl ich solche Dinger nicht ausstehen kann und ihn nie benutze. Meine Kleidung kaufe ich bei Dennes & Plauritz, obwohl mir das Zeug überhaupt nicht steht. Aber es lohnt sich. Seither kann ich nachts schlafen, und tagsüber bin ich munter. Die Tiger lugen nur noch ab und zu aus dem Gebüsch und blinzeln mir zu, und manchmal können Mark und ich im Traum sogar ungestört unter den Palmen Sex haben.
Alle drei Monate kommt per Post ein Update-Modul mit neuer Werbung für das Dreamscape. Es ist immer ziemlich schlimm, bis ich mein Einkaufsverhalten darauf eingestellt habe. Dann aber schlafe ich richtig erholsam, genauso wie es die Dreamscape-Werbung immer verspricht. Nicht mal die Gedanken an mein überzogenes Bankkonto und an Mark, der jetzt mit einer Blondine aus seiner Firma zusammen ist, schaffen es noch, mich wachzuhalten.

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