Das Selbstlektorat

Ob Roman, Kurzgeschichte, Artikel oder Sachbuch – Texte brauchen Überarbeitung. Doch was ist, wenn man noch keinen Lektor hat, der einen unterstützt, oder dem Verlag ein möglichst perfektes Manuskript abliefern will? Für all jene, die gerade mit einem Manuskript kämpfen, mit dem sie noch nicht ganz zufrieden sind, eignet sich dieser Autorenratgeber – er besteht hauptsächlich aus Fragen an Ihren Text und Beispielen, aber auch vielen Tipps.

Um die Qualität meiner Bücher nicht von der Qualität des Lektors abhängig zu machen, habe ich mir angewöhnt, meine Manuskripte systematisch zu überarbeiten. In diesem Ratgeber stelle ich meine Methode vor – und erzähle auch ganz offen von Pleiten, Pech und Pannen meiner Buchprojekte.

Autorenhaus Verlag
1. Auflage 2013,
153 Seiten, Taschenbuch, 12,95 Euro
ISBN 978-3-86671-105-1


Inhaltsverzeichnis:


So lektorieren Sie Ihre Texte

Einleitung

Die drei wichtigsten Tipps für Selbstlektoren

Schritt 1 – Struktur

Roman, Erzählung, Kurzgeschichte

Sind Ihre Figuren überzeugend?

  • Haben die Figuren genug Tiefe?
  • Zu gute und zu böse Figuren
  • Sind Sie Ihren Hauptfiguren nah genug?
  • Entwickeln sich Ihre Hauptfiguren?
  • Die Beziehungen zwischen Ihren Figuren
  • Kann man sich mit Ihren Figuren identifizieren?

Funktionieren Plot und Perspektive?

  • Ihr Plot auf dem Prüfstand
  • Auf der Suche nach dem roten Faden
  • Stimmen die großen und kleinen Spannungsbögen?
  • Befolgen Sie die ungeschriebenen Gesetze des Genres?
  • Passt die Perspektive?

Der Szenen-Doktor

  • Gute und weniger gelungene Szenen markieren
  • Reihenfolge der Szenen umstellen
  • Funktionieren die Kapitelübergänge?

Anfang und Schluss

  • Die ersten fünf Seiten
  • Ihr Schluss

 Kurzgeschichte

Nonfiction

 Sachbuch

  • Wie haben Sie Ihr Thema angepackt?
  • Haben Sie ausreichend recherchiert?
  • Ist der Aufbau klar und logisch?
  • Haben Sie die Bedürfnisse der Zielgruppe abgedeckt?
  • Passen Ton und Sprache?
  • Ist die Gestaltung abwechslungsreich?

Autobiografien

Journalistische Texte

  • Artikel/Bericht
  • Reportage
  • Kommentar
  • Rezension

Checkliste Schritt 1

Schritt 2 – Erster Schliff

Fakten und Logik

Ton und Tempo

  • Passt der Grundton des Textes?
  • Sind Ihre Dialoge lebensecht und überzeugend?
  • Erzeugen Sie Atmosphäre?
  • Haben Sie das richtige Erzähltempo gefunden?

Stil und Sprache

  • Wiederholungen, Holprigkeiten und Füllwörter aufspüren
  • Überflüssige und nichtssagende Adjektive streichen
  • Abgenutzte Ausdrücke rauswerfen
  • Vergleiche und Metaphern checken
  • Aus Passiv Aktiv machen
  • Verben nach vorne ziehen
  • Umständliche oder steife Formulierungen erkennen
  • Wissen elegant vermitteln
  • Zu lange und zu kurze Sätze umwandeln

 Äußere Gestaltung

  • Absätze und Seitenzahlen einfügen
  • Rechtschreib-Check durchführen
  • Schreibweisen vereinheitlichen
  • Auf Normseiten umformatieren
  • Einen guten Titel/Arbeitstitel finden

Checkliste Schritt 2

Schritt 3 – Überarbeiten nach Feedback

Mittel gegen die Betriebsblindheit

Testleser und wie man sie findet

  • Testleser richtig anleiten
  • Anhand des Feedbacks überarbeiten

Bezahlte Hilfe

  • Den richtigen Lektor, Coach oder Korrektor finden
  • Zusammenarbeit mit einem freien Lektor oder Korrektor

Hilfestellung vom Verlags-Lektor/Redakteur

  • Gute und schlechte Lektoren
  • Korrektur des Umbruchs – letzte Fehler finden

Checkliste Schritt 3

 


Leseprobe aus „So lektorieren Sie Ihre Texte

Auszug aus: Sind Ihre Figuren überzeugend?

Entwickeln sich Ihre Hauptfiguren?

In manchen Romanen meistern die Hauptfiguren sämtliche Widrigkeiten des Lebens mit coolen Sprüchen und leben am Schluss weiter, als sei nichts passiert. Im wirklichen Leben läuft es anders, unsere Erfahrungen verändern uns – und in guten Romanen durchlaufen die Figuren ebenfalls eine Entwicklung. Sie werden vielleicht vom Leben oder den Menschen, die ihnen etwas bedeuten, verletzt und gebrochen, sie verzweifeln fast an dem, was sie bewältigen müssen, wachsen und reifen aber auch an ihren Erfahrungen und sind am Ende andere Menschen als zu Anfang.

Ein gutes Beispiel ist Wasser für die Elefanten von Sara Gruen: Wir erleben die Hauptfigur Jacob Jankowski zu Anfang als über neunzigjährigen Mann im Altersheim, der ungeduldig darauf wartet, in den Zirkus gebracht zu werden, er will die Vorstellung auf gar keinen Fall verpassen – denn der Zirkus, das war seine Welt. In langen Rückblenden erfährt man, wie es in den 1930er Jahren dazu kam. Völlig deprimiert durch den Tod seines Vaters wirft Jacob kurz vor dem Abschluss sein Tiermedizin-Studium hin – er kann einfach nicht mehr, es ist alles zu viel für ihn. Er landet bei einem heruntergekommenen Wanderzirkus, kann sich durch seine tierärztlichen Kenntnisse nützlich machen und verliebt sich dort in die schöne Kunstreiterin Marlena. Die ist jedoch schon verheiratet, mit dem charismatischen, aber grausamen Tiertrainer August. Als Marlena sich in Jacob verliebt und es mit dem Zirkus während der Wirtschaftskrise immer weiter bergab geht, eskaliert die Situation und steuert auf eine Katastrophe zu. Nur knapp kommen Marlena und Jacob mit dem Leben davon: Nun, da August getötet wurde, sind sie frei füreinander. Jacob ist selbstsicherer geworden und gereift, er hat seinen Weg im Leben und sein Glück gefunden. Als neunzigjähriger Witwer reißt er zum zweiten Mal aus, als seine Kinder vergessen, ihn aus dem Altersheim zur Vorstellung zu bringen. Und er wird – eine sehr bewegende Szene – wieder von einer Zirkustruppe aufgenommen.

Zurück zu Ihrem Roman und Ihren Hauptfiguren. Fragen Sie sich:

  • In welcher Weise entwickeln sich meine Hauptfiguren? Wie ist ihre Situation am Anfang, wie am Schluss?
  • Wie verändern sie sich durch das, was sie erleben?
  • Was haben sie aus dem gelernt, das sie erlebt haben?

Solche Entwicklungen kann man nachbessern, und Sie werden merken, Ihr Manuskript wird besser dadurch.

Nicht angebracht ist eine Entwicklung der Figuren nur dann, wenn Sie Romane für eine Reihe schreiben und es dafür sogar wichtig ist, dass die Figur gleich bleibt, damit sie im nächsten Band (der möglicherweise von einem anderen Autor geschrieben wird) wieder loslegen kann, als sei nichts gewesen. Bei Reihen mit vielen Bänden würden sich sonst die Verweise auf andere Abenteuer häufen, was Leser meist als nervig empfinden.

Die Beziehungen zwischen Ihren Figuren

Viele Romane leben davon, dass sich zwischen den Figuren eine psychologische Spannung aufbaut. Klassisches Beispiel: Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer, ein Roman, der ausschließlich aus Mails zwischen Emmi und Leo besteht. Sie nähern sich einander an, flirten, diskutieren hitzig, zerstreiten sich, versuchen zaghaft, sich im wirklichen Leben kennenzulernen und gefährden durch die enge Mail-Freundschaft ihre Partnerschaften in der wirklichen Welt. In dem packenden Science-fiction-Roman Herr aller Dinge von Andreas Eschbach ist es die unerfüllte Liebe zwischen Charlotte, der Tochter eines Botschafters, und Hiroshi, dem Sohn einer Hausangestellten, die die Handlung in Gang bringt und sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht.

Es ist Zeit, die Entwicklung zwischen Ihren Figuren unter die Lupe zu nehmen. Fragen Sie sich:

  • Gibt es genug Szenen, in denen sich die Beziehung zwischen den Hauptfiguren entwickeln kann?
  • Gibt es im Verlauf des Romans eine Steigerung?
  • Ist es vorhersehbar, wie die Beziehung sich entwickelt, oder gibt es unerwartete Wendungen?
  • Gibt es Konflikte zwischen den Figuren, so dass Spannung entsteht? Nichts ist langweiliger als Harmonie!
  • Falls in Ihrem Manuskript eine Love Story vorkommt: Gibt es genug Hindernisse, die der Liebe entgegenstehen, so dass man mitfiebern muss, ob die beiden sich kriegen? Und bitte nicht das Standard-Missverständnis, dass Ihre Hauptfigur jemand anders geküsst oder umarmt hat, der sich dann aber nur als der Cousin etc. herausstellt – es sei denn, Sie schreiben einen Heftroman.

Kann man sich mit Ihren Figuren identifizieren?

„Es tut mir leid, aber Juli war mir einfach unsympathisch.“ Dieses Feedback kam von mehreren Testlesern meines Romans Koalaträume. Ich war entsetzt, denn ein solches Problem mit der Hauptfigur ist tödlich für einen Roman. Durch hartnäckiges Nachfragen bekam ich schließlich heraus, woran es lag – und änderte nicht nur die Szenen, in denen sich Juli nach Ansicht der Testleser zu aggressiv verhielt, sondern warf die beiden ersten Kapitel raus, die sie charakterisieren sollten, und ließ die Handlung erst im dritten Kapitel beginnen. Es wirkte, jetzt stimmte die Chemie zwischen den Lesern und der Hauptfigur.

Man sagt, dass sich Leser mit Figuren identifizieren, weil sie während des Lesens ihr Leben teilen, ein Stück weit selbst in ihre Rolle schlüpfen. Oder zumindest begleiten sie die Figur, als sei es ein guter Freund oder eine gute Freundin. Doch nicht mit jedem mag man befreundet sein. Ist Ihre Hauptfigur eine, mit der man sich als Leser gerne identifiziert?

  • Ist klar, wer die Hauptfiguren sind? Auch wenn Sie mehrere Parallelhandlungen erzählen, sollten Sie nicht mehr als drei Figuren haben, die eindeutig im Mittelpunkt stehen, in den meisten Szenen präsent sind und deren Erlebnisse den roten Faden des Buchs bilden. Die Leser können sie dann richtig gut kennenlernen. Wenn Sie mehr als fünf Hauptfiguren haben, schwächt das den Roman. Entscheiden Sie sich, wer wirklich wichtig ist und wer nur eine Nebenfigur ist.
  • Haben Ihre Hauptfiguren klare, unverwechselbare Eigenschaften, eine in irgendeiner Form besondere Vorgeschichte oder eine Freizeitbeschäftigung/Gewohnheit abseits des Üblichen? Dann werden sie ihre Leser nicht anöden. Echte „Charakterköpfe“ können sogar zu einer unvergesslichen Figur werden (Sherlock Holmes, Kluftinger etc.)
  • Haben die Hauptfiguren ein paar für ihre Lebenssituation typische Probleme? Das macht sie menschlich, und die Leser und Leserinnen erkennen sich in ihr wieder.
  • Hat Ihre Figur Schwächen, die sie menschlich machen? Nichts ist unsympathischer als eine perfekte Figur, die alles kann! Aber auch mit einem „Schwachkopf“ mag man sich nicht identifizieren. Überhebliche, selbstverliebte oder zu Selbstmitleid neigende Figuren werden leicht abgelehnt.
  • Handelt Ihre Hauptfigur meistens vernünftig, vor allem aber nachvollziehbar? Wenn nicht, wendet man sich möglicherweise kopfschüttelnd von ihr ab.
  • Kommen Ihre Hauptfiguren schon zu Beginn des Romans im Text vor? Als Leser akzeptiert man die Figuren, denen man am Anfang begegnet, als Hauptfiguren. Wenn Sie mit einer Nebenfigur einsteigen, kann das irritieren. Weitere Hauptfiguren sollten Sie ebenfalls möglichst früh einführen, nicht erst in der zweiten Hälfte des Romans – das weiß ich aus bitterer Erfahrung mit meinem Buch Der Atem des Vulkans, ich musste das Manuskript völlig umbauen, um dieses strukturelle Problem zu beheben.
  • Sind die Namen der Hauptfiguren passend? Prüfen Sie, wie die Namen laut ausgesprochen klingen. Bei Figuren in Fantasyromanen kann es nötig sein, sie mit Akzenten zu versehen, damit die Leser sie so aussprechen, wie Sie das möchten.

Alles weitere ist Glückssache – oder hat etwas mit der geheimnisvollen Chemie zwischen Lesern und Figuren zu tun. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es passt, Sie werden es nach den ersten Testleser-Feedbacks feststellen.

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