Catwalk

Catwalk

Sylvia Englert
11.3.2001

Mona

So ein Yuppie, oh Mann, die sind total geizig mit Trinkgeldern. Muß der sich unbedingt an meinen Tisch setzen.
„Eine Cola light bitte“, sagt er und lächelt mich an. Mein Gott, ist der Typ schmierig. Bestimmt ein Broker oder sowas. Wer trinkt heute noch Cola light? Doch nur Penner.
Aha, auf die hat er also gewartet. Schön ist sie, richtig schön. Tolle Leopardenbluse, und die Figur… Verdammt, morgen gehe ich wieder ins Fitnesstraining. Und ich werde jetzt gleich aufhören, diese verdammten Amarettinis zu fressen und sie stattdessen den Leuten auf den Kaffeeuntersetzer legen. Wie er die wohl gekriegt hat? Wahrscheinlich mit seiner Kohle. Diese Typen verdienen alle zwanzigmal soviel wie ich. Sitzen da vor ihren Bildschirmen und müssen sich nicht die Beine in den Bauch stehen und lächeln, wenn irgendein Arsch sie anscheißt, weil sein Capuccino angeblich nur lauwarm ist.
Abgenervt streichle ich unsere Kneipenkatze Fritzy und fülle sein Schälchen mit frischem Wasser. Mannomann, wie der Typ die Tussi anglotzt! Wahrscheinlich verziehen die sich gleich ins Männerklo. Wie die beiden letzte Woche. Sie haben gedacht, dass niemand es gesehen hat, die armen Hascherl. Aber erstmal bestellt er noch eine Cola. Kann er haben. Für seine Schöne einen Prosecco, kommt sofort.
Als es Ratsch macht, bringe ich gerade dem Paar an Tisch 4 ihre überbackenen Baguettes. Wir glotzen alle hinüber. Scheiße, er hat ihr die Bluse aufgerissen! Das hätte ich nun doch nicht gedacht, dass er so notgeil ist, dass er ihr sogar die Klamotten vom Leib fetzt. Oh Mann. Hier ist ja schon eine Menge passiert, aber sowas nicht.
Es ist ganz still in der Bude. Der Typ vom Tisch 4 zückt sein Handy. „Vielleicht sollten wir die Polizei rufen“, flüstert er.
Seine Frau guckt immer noch rüber. „Du meinst, er will sie vergewaltigen? Aber doch nicht hier im Lokal. Nee, nee. Die streiten sich nur.“
In diesem Moment sehe ich, wie die Hand der Schönen die Backe des Typen trifft. Gut gemacht! Wenn jemand mich so behandeln würde, würde ich ihm auch eine scheuern, und nen Arschtritt gäb´s noch kostenlos dazu. Bevor ich dem Yuppietypen seine nächsten Cola light bringe, spucke ich schnell hinein. Mal schauen, wie´s ihm schmeckt. Und sobald er die Kohle rübergerückt hat, fliegt er aus dem Lokal.

Fred

Sie genießt ihren Auftritt, ich sehe es genau. Amüsiert beobachte ich, wie sie hereinstakst. Sie hat diesen Laufsteg-Schritt drauf, ein Bein genau vors andere, damit die Pobacken auch richtig auf und ab gleiten. Ihr Blick ist hochmütig-kühl. Das Lächeln haben sie ihr abtrainiert für den Catwalk, und seither hat sie es nie wirklich wiedergefunden. Außer vielleicht bei ihren Kindern, keine Ahnung.
Ganz automatisch stelle ich sie mir im Sucher meiner Canon vor. Sie sieht nicht schlecht aus, besser, als ich gedacht hätte. Aber die Sachen wirken altmodisch. Die Mode von vor drei Jahre, als sie es sich leisten konnte. Nichts gespart, sie hatte noch nie den Grips der anderen Hühner. Enger kurzer beiger Rock, schimmernde Leopardenbluse darüber, kurze Wildlederjacke, verdammt hohe Absätze, ich werde nie verstehen wie Frauen auf sowas laufen können. Die Haare fließen ihr silbern die Schultern, sie hat sie gefärbt. Wenigstens der Schnitt ist hip.
Belustigt merke ich, wie sie auf die Männern im Lokal wirkt. Viele Augen folgen ihr. Das ist genau nach Stellas Geschmack. Sie wird gut drauf sein heute. Ich seufze. Wenn die wüßten, dass sie zwei Gören daheim hat und sich kaum den Babysitter leisten kann. Schreiend würden sie weglaufen.
Sie läßt sich an meinen Tisch gleiten, bedenkt mich mit einem Blick, der wohl faszinierend und geheimnisvoll sein soll. Hat sie immer noch nicht mitgekriegt, dass ich auf Männer stehe? Dass ich seit fünf Jahren mit dem tollsten Kerl der Stadt zusammenlebe?
„Hallo, Stella“, sage ich und nippe an meiner Cola. Irgend jemand hat mir mal erzählt, wie sie wirklich heißt, aber ich habe es vergessen. Heike oder Annette oder sowas. „Wie geht´s?“
„Fantastisch“, sagt sie, lächelt. „Gerade heute hat Frank Berendt von Viva angerufen und gesagt, dass er mir vielleicht bald eine Moderation anbieten kann.“
Viva? Der Kiddie-Musik-Kanal? Das glaubt sie doch selbst nicht, dass die eine wie sie noch brauchen können, die verheizen nur hibbelige Teenager. „Toll“, sagte ich. „Hast du dann überhaupt noch die Zeit, wieder ins Modeling einzusteigen?“
„Ja, natürlich“, sagt sie. „Das hat mir eigentlich immer am meisten Spaß gemacht. Die Atmosphäre bei den Shows, die Kleider. Das Reisen. Weißt du, das ganze Drumherum.“ … und die Kohle, denke ich. Vor allem die Kohle.
Ich komme nicht direkt auf den Job zu sprechen, lasse sie zappeln. „Wie geht´s den Kindern?“
Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich das nicht wirklich wissen will. Ihr Blick ist einen Moment lang unsicher, als sie herauszuhören versucht, ob es sarkastisch gemeint ist. „Prima geht´s denen. Mike kann schon laufen, Arabella noch nicht. Sie sind zwei ganz schöne Energiebündel.“ Von Mutterglück auf ihrem Gesicht keine Spur. Klar. Sie hat die Gören sowieso nicht gewollt. Und dann zwei auf einmal. Muß ein harter Schlag gewesen sein. Ich nicke nur und taxiere ihre Figur, so dass sie es merkt. „Nehmen einen ganz schön mit, die Kleinen, was? Wie sieht´s mit Schwangerschaftsstreifen aus?“
„Was denkst du denn?“ fragt sie pikiert. „Aber unter Klamotten sieht man das nicht.“
„Willst du etwa mit deinem wunderschönen Rücken weitermodeln? Und was ist mit deinen Titten?“
Jetzt wird sie langsam wirklich wütend. Aber sie bemüht sich, es nicht zu zeigen. Schließlich braucht sie mich noch. „Gut in Form, noch immer besser als bei neunzig Prozent der Tussis in diesem Lokal.“
Ich schüttele den Kopf. Woher nimmt sie eigentlich ihr grandioses Selbstbewußtsein? Selbst die Bedienung hat mehr Ausstrahlung als sie, obwohl sie hervorstehende Zähne hat und viel zu dick ist. Es war ein Fehler, sich zu einem Treffen breitschlagen zu lassen.
„Okay.“ Sie sagt es zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Langsam stellt sie ihr Prosecco-Glas ab. Will sie gehen? Wäre mir auch recht, mit der wird es nichts mehr. Doch sie grinst mich nur an – und dann reißt sie ihre Leopardenbluse auf, einfach so, mit einem Ratsch. Die Knöpfe spritzen davon. Sie trägt keinen BH. „So. Sieht das ausgelutscht aus oder was?“
Na ja, ihre Dinger sind noch recht ansehnlich, auch wenn sie schon ein klein bißchen hängen, aber das werde ich jetzt nicht sagen, sonst fange ich mir wirklich eine Ohrfeige.
„Und, habe ich den Job?“ fragt sie und tätschelt mir verführerisch lächelnd die Wange. „Wie kommst du darauf?“ frage ich zurück, grinse und trinke meine Cola light aus.

Stella

Ich kann sehen, wie er mich abschätzt, seine Augen sind wie zwei gläserne Fisheye-Objektive. Manchmal gruselt es mir vor ihm. Aber diesmal bin ich stärker. Wenn er wüßte. Wenn er wüßte! Vielleicht sage ich es ihm, dem Arschloch. Wenn er mir den Job nicht gibt, sage ich es ihm. Ja.
Hoffentlich funktioniert das Babyfon auch richtig. Das letzte Mal hat Angela nichts gehört. Oder hat zumindest gesagt, dass sie nichts gehört hat. Vielleicht sollte ich doch einen richtigen Babysitter anheuern. Jetzt, wo Michael die Alimente endlich überwiesen hat. Wie er gejammert hat, als der Test ergeben hat, dass meine Süßen von ihm sind! Bei dem Gedanken muß ich mir das Grinsen verbeißen.
Um es zu überspielen, erzähle ich Fred schnell irgendeinen Scheiß über eine Viva-Moderation. Ich sehe das Mitleid auf seinem Gesicht, und es ärgert mich einen Moment lang. Wahrscheinlich antworte ich deswegen spontan, erzähle ihm, was mir das Modeln wirklich bedeutet hat. Gleich darauf tut es mir leid. Er kapiert es sowieso nicht.
Jetzt erkundigt er sich nach den Kindern. Ob er irgendwas ahnt? Nein, ganz sicher nicht. Das wäre schade. Ich will ihn unvorbereitet erwischen. Er hat keine Kinder, natürlich nicht. Manche gehen eine Scheinehe ein, aber so verlogen ist er nicht. Immerhin etwas, was für ihn spricht. Wenn er wüßte, was ihm entgeht. Was das für ein Gefühl ist, Arabella im Arm zu halten. Wie sie mit der winzigen Hand meinen Finger umklammert.
Tja, die wilden Zeiten sind vorbei. Endgültig. Schade eigentlich. Plötzlich ist mir danach, etwas Verrücktes zu tun. Wie früher so oft. Das vermisse ich manchmal, dass die Leute mich anschauen, meinen Körper, die Blicke direkt auf der Haut.
Hmm… ja… gute Idee… Mal schauen, ob es ihm peinlich ist. So ein Arsch. Selber eine Wampe vor sich hertragen aber an meinem Bauch rummeckern, der immerhin schon einiges geleistet hat.
Seidiger Stoff unter meinen Händen, er reißt leicht, ein kühler Luftzug auf meinen Brüsten. Heyyy, das hat sich gelohnt! Er sieht ziemlich pikiert aus. Aber den Job will er mir trotzdem nicht geben. Habe ich mir schon gedacht. Er grinst. Mal sehen, ob er das gleich immer noch macht.
„Ach ja“, sagte ich, als ich aufstehe. „Könntest du Michael was ausrichten? Arabella und Mike lassen ihren Papa grüßen. Er kann uns gerne mal besuchen, wenn er mag.“
Es wird Zeit zu gehen. Ich habe Sehnsucht nach meinen beiden Süßen.

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