Tommy Löwenfreund, der mutigste Junge der Welt, ist der Star des Zirkus Ferinelli. Er kann zahlreiche Kunststücke, hat viele wilde und lustige Ideen, rennt viel schneller als die meisten und besser klettern kann er natürlich auch. Seine besten Freunde sind ein Löwe namens Brüllmähne und Alex, der gerne Fußball spielt. Zusammen hecken sie viele Streiche aus, finden einen Scahtz und erleben jede Menge Abenteuer!
Sylvia Englert (Text)
Christiane Hansen (Illus):
Tommy Löwenfreund, der mutigste Junge der Welt
ArsEdition, München 2012, 104 Seiten, ab 5 Jahren, 12,99 Euro
Es gibt so viele Bücher für starke Mädchen – aber wo sind die Bücher für und über starke Jungs? Fußballkerle, okay, aber sonst? Als Autorin und Mutter eines Jungen war meine Mission klar. Und es hat irrsinnig Spaß gemacht, „Tommy Löwenfreund“ zu schreiben. Total begeistert war und bin ich von Christiane Hansens Illustrationen dazu.
Leseprobe aus „Tommy Löwenfreund, der mutigste Junge der Welt“
Gundelhausen war ein kleines Städtchen. Es hätte dort auch sehr friedlich sein können – wenn die drei großen Jungs aus der vierten Klasse nicht gewesen wären. Alex wusste nicht mal, wie sie hießen, er nannte sie immer nur die Popelgesichter. Ihre Lieblingsbeschäftigung war, andere Kinder zu ärgern. Das taten sie den ganzen Tag lang, wenn sie nicht gerade dabei waren, Bonbonpapier auf die Straße zu werfen oder die Luft aus fremden Fahrradreifen abzulassen.
Und ausgerechnet jetzt, als Alex mal wieder allein von der Schule nach Hause ging, bogen diese Jungs um die Ecke. Alex fühlte sich, als hätte er versehentlich all seine Stifte verschluckt und den Radiergummi noch dazu.
Die drei Popelgesichter stellten sich um ihn herum auf. „Haha-hu, du bist vor Angst ja schon ganz grün im Gesicht“, grölten sie.
„Gar nicht wahr“, sagte Alex und versuchte, sich zwischen den Jungen durchzudrängen. Doch dabei rutschte ihm der Ranzen vom Rücken. Sofort schnappten ihn sich die Popelgesichter, und alle zusammen schleuderten sie ihn mit aller Kraft nach oben. Hoch und immer höher flog der Ranzen – bis in die unteren Äste eines Baumes, der an der Straße wuchs. Die Popelgesichter blökten vor Lachen, und Alex versuchte, nicht zu weinen.
„Das ist ja eine komische Stadt“, sagte plötzlich eine Stimme. „Können hier alle Ranzen fliegen?“
Erstaunt drehten sich Alex und die drei Popelgesichter um. Dort stand ja auf einmal ein Junge! Er war ein bisschen kleiner als Alex und hatte strubbelige blonde Haare, grüne Augen und abstehende Ohren. Alex hoffte, dass der Junge ihm helfen konnte. Aber sehr stark sah er nicht aus.
„Was willst du, Henkelohr?“ fragte eines der Popelgesichter mit finsterem Blick.
„Ach ja, meine Ohren“, sagte der blonde Junge und lächelte breit. „Die flappen wunderbar im Wind, das solltet ihr mal sehen. Leider pustet es heute nicht stark genug. Aber morgen vielleicht. Das würde ich an eurer Stelle auf keinen Fall verpassen!“
Die drei Popelgesichter glotzten ihn verblüfft an.
„Und wenn ich seitlich durch eine Tür gehe“, fuhr der Junge fort, „ist mein Ohr schon lange vor mir da. Toll, was?“
„Ja!“, sagte Alex. Aber das war ein Fehler. Denn jetzt erinnerten sich die Popelgesichter wieder daran, dass es ihn gab. Einer der großen Jungen streckte den Finger aus und piekte Alex in den Bauch. Vor Schreck stolperte Alex zurück.
„Darf ich mitspielen?“, fragte der fremde Junge, und bevor die Popelgesichter auch nur den Mund aufbekamen, hatte er sie schon in den Rücken gepiekt. Wütend versuchten die Popelgesichter, ihn zu packen. Doch das war gar nicht so einfach. Denn blitzschnell war der blonde Junge auf den Zaun geklettert und balancierte darauf entlang. Ohne sich irgendwo festzuhalten! Alex staunte.
Eines der Popelgesichter versuchte, den fremden Jungen vom Zaun zu schubsen. Doch der Junge kicherte nur, griff nach einem Ast und turnte einen Baum hinauf. Dann ließ er sich mit den Beinen von einem Ast herunterbaumeln, so dass sein Kopf nach unten hing. „Wollt ihr nicht auch raufkommen?“, fragte er, pflückte ein paar Blätter und ließ sie auf die Popelgesichter hinuntersegeln.
Diesmal musste Alex wirklich lachen, und der fremde Junge schaute ihn ganz freundlich an. „Ach ja, ich heiße übrigens Tommy“, rief er Alex zu. „Tommy Löwenfreund.“
„Was für ein blöder Name!“, schrie eines der Popelgesichter.
Tommy schwang sich an einem Ast wieder zur Erde. „Was ist denn blöd daran?“, fragte er erstaunt.
Die Popelgesichter sagten nichts. Sie stürzten sich einfach nur auf Tommy, alle drei gleichzeitig.
Doch in diesem Moment hörte Alex ein seltsames Geräusch. Es klang ein bisschen wie das Gebrüll eines Raubtieres, aber das konnte ja nicht sein. Wo sollte denn in Gundelhausen ein Raubtier herkommen? Das gefährlichste Tier, das Alex kannte, war Herbert, ein Dackel, der den Nachbarn gehörte. Herbert streichelte man besser nicht, weil er immer schlechte Laune hatte.
Es knackte und raschelte im dichten Gebüsch neben der Straße. Und dann sprang direkt vor Alex ein echter Löwe auf den Weg! Sein Fell war gesträubt und sein Schwanz peitschte wütend hin und her. Zum Glück beachtete der Löwe Alex gar nicht, er rannte gleich in Richtung der Popelgesichter.
„Das ist Brüllmähne“, meinte Tommy stolz. „Er ist mir wohl mal wieder gefolgt. Ach ja, und er mag es gar nicht, wenn mich jemand bedroht.“
Jetzt hatten die großen Jungen es eilig. Richtig eilig! Einer kletterte hastig auf den Baum, die anderen versuchten eine Straßenlaterne hochzukommen. Aber besonders gut klappte das nicht. Alex, Tommy und der Löwe sahen zu, wie die beiden an dem glatten Mast – wuuusch – einfach wieder herunterrutschten. Bibbernd vor Angst klammerten sich die Popelgesichter an die Laterne und starrten den Löwen an. Aus seinen großen goldbraunen Augen starrte der Löwe zurück.
„Hm“, sagte Tommy, zwickte sich nachdenklich in die Nase und sagte dann: „Du da auf dem Baum! Wirf mal den Ranzen runter. Ach ja, und entschuldigen könntet ihr euch auch mal. Vielleicht beruhigt sich Brüllmähne dann wieder.“
„E-e-e-ntschuldigung“, stammelten die drei Popelgesichter, gaben Alex seinen Ranzen zurück und schauten verlegen drein. „Wir ärgern dich nie, nie wieder! Versprochen!“
„Okay“, antwortete Alex und wäre am liebsten gehüpft vor Freude.
So schnell sie konnten rannten die drei Jungen weg. Zufrieden kraulte Tommy seinen Löwen hinter dem linken Ohr. Das schien ihm zu gefallen, denn er schnurrte jetzt wie ein Kätzchen und wirkte gar nicht mehr wild und gefährlich. Alex hätte den Löwen eigentlich gerne gestreichelt, traute sich aber nicht.
„Danke – das eben war richtig nett von euch“, meinte Alex.
„Kein Problem“, sagte Tommy zufrieden und kletterte auf Brüllmähnes Rücken. „Leider muss ich jetzt schon wieder los. Wie heißt du eigentlich?“
Alex sagte es ihm. Wie schade, dass Tommy schon wegmusste. Ob er ihn wohl wiedersehen würde? Hoffentlich!
Zum Abschied winkte Tommy ihm zu. „Und, kommst du mich mal besuchen?“
Alex strahlte. „Ja, klar! Wo wohnst du denn?“
„Auf der Gänsewiese.“
„Aber …“, stammelte Alex. „Da ist doch gar nichts!“
Tommy grinste. „Jetzt schon“, sagte er. „Und jeden Tag um sechzehn Uhr ist Vorstellung.“
Da fiel Alex ein, dass er in den letzten Tagen tatsächlich an Plakaten vorbeigekommen war, die einen Zirkus auf der Gänsewiese ankündigten. Tommy kramte in der Tasche seiner Jeans und holte drei bunte Zettel hervor. Nein, das waren keine Zettel, das waren Eintrittskarten! Und Tommy drückte sie Alex in die Hand!
„Danke“, stammelte Alex und wurde rot vor Freude.
„Also dann bis nachher!“, lachte Tommy, und dann stürmte er mit seinem Löwen davon, quer durchs Gebüsch in Richtung der Gänsewiese.